Anerkennung als Spätaussiedler

Mit zunehmendem Alter der in den 90er Jahren und danach nach dem Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz (BVFG) eingereisten Personen wird häufig der Wunsch geäußert, nachträglich als Spätaussiedler im Sinne des § 4 BVFG anerkannt zu werden.

Grund dafür ist das Fremdrentengesetz (FRG). Nur deutsche Volkszugehörige im Sinne des BVFG können eine Altersrente für im Aussiedlungsgebiet (in der Regel die ehemalige UdSSR und deren Nachfolgestaaten) zurückgelegte rentenrechtliche Beitragszeiten erhalten. Hauptfall: Die früher vor der Übersiedlung geleistete Arbeit wird bei der Berechnung deutscher Altersrente berücksichtigt, so dass diese höher ausfällt, als bei Berücksichtigung nur der in Deutschland selbst geleisteten Arbeitszeiten.

 

Beispiel:

Iwan, geb. 1960, kommt im Jahre 1995 zusammen mit seiner Mutter Erna nach Deutschland. Er wurde in den Aufnahmebescheid der Mutter als "nichtdeutscher" Abkömmling im Sinne des § 7 BVFG einbezogen, während der Mutter ein Aufnahmebescheid zur Einreise als Spätaussiedlerin im Sinne des § 4 BVFG erteilt wurde. Nach der Einreise wird eine Spätaussiedlerbescheinigung ausgestellt, dort steht Erna mit § 4 BVFG drin und Iwan mit § 7 BVFG.

Iwan ist inzwischen 59 Jahre alt und so langsam macht er sich Gedanken um seine Rente. Er bekommt von der Deutschen Rentenversicherung eine Rentenauskunft, wonach seine Altersrente sich im Jahre 2026 voraussichtlich auf nur 800,00 Euro monatlich belaufen wird. Erst jetzt wird Iwan der Nachteil der Anerkennung als "nichtdeutscher" Abkömmling im Sinne des § 7 BVFG klar, denn ein Verwandter ähnlichen Alters, welcher aber nach der Einreise als Spätaussiedler anerkannt wurde,  kann monatlich voraussichtlich 1.100,00 Euro Rente beanspruchen. Iwan fragt sich also, ob er denn nicht ebenfalls noch nachträglich als Spätaussiedler anerkannt werden könnte und was er dafür tun müsste.

In solchen Fällen muss zunächst ein Antrag auf Anerkennung als Spätaussiedler gestellt werden. Streng genommen wird dabei die Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs.1 BVFG beantragt. Zur Erläuterung: Spätaussiedler erhalten eine Bescheinigung nach § 15 Abs.1 BVFG, "nichtdeutsche" Abkömmlinge und Ehegatten nach § 15 Abs.2 BVFG.

Zuständig für die Entgegennahme des Antrages ist:

Bundesverwaltungsamt

50728 Köln.

Der Antrag wird formlos gestellt, Formulare gibt es dafür nicht.

Aber kann ein solcher Antrag auch Aussicht auf Erfolg haben?

Es kommt darauf an. Es gibt einige Punkte, die vorab berücksichtigt werden sollten.

I. Eine Anerkennung als Spätaussiedler ist nicht möglich, falls bereits zuvor - in der Regel vor der Aufnahme in Deutschland - ein Spätaussiedleraufnahmeantrag vom Bundesverwaltungsamt (BVA) bestandskräftig abgelehnt worden ist.

Hätte Iwan somit vor seiner Einreise nicht nur die Einbeziehung zur Mutter, sondern eine eigenständige (vom Antrag seiner Mutter unabhängige) Aufnahme als Spätaussiedler beantragt und wäre dieser Antrag vom BVA bestandskräftig abgelehnt worden, dann könnte er keine nachträgliche "Höherstufung" von § 7 auf § 4 BVFG mehr beanspruchen. Das ergibt sich aus § 15 Abs.2 S.2 BVFG (sog. Sperrklausel).

III. Eine nachträgliche Höherstufung kann das BVA auch dann nicht vornehmen, wenn es zu dieser Frage bereits eine frühere Entscheidung des damaligen örtlichen Vertriebenenamtes gibt. Vor 2005 wurden Spätaussiedlerbescheinigungen von örtlichen Vertriebenenämtern und nicht vom BVA ausgestellt. Hätte Iwan also nach seiner Einreise eine Anerkennung als Spätaussiedler und Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs.1 BVFG beim örtlichen Vertriebenenamt beantragt und wäre dieser Antrag bestandskräftig abgelehnt worden, stünde die Bestandskraft dieser negativen Entscheidung einer Höherstufung durch das BVA entgegen.

III. Erst wenn die in Ziff. I und II. genannten Hürden nicht vorhanden sind, kommt also - vom Ansatz her - eine Höherstufung überhaupt in Betracht.

Dabei sind dann die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Spätaussiedlereigenschaft zu prüfen.

Hierbei ist immer wieder festzustellen, dass von Betroffenen die deutsche Abstammung mit der deutschen Volkszugehörigkeit im Sinne des (§ 6) BVFG gleichgesetzt wird. Tatsächlich ist die deutsche Abstammung aber nur ein Teil der gesetzlichen Anforderungen an das Merkmal der deutschen Volkszugehörigkeit und bei einem bestimmten Personenkreis (vor 1924 geborene Personen, § 6 Abs.1 BVFG) nicht einmal zwingend erforderlich.

Kann Iwan aus dem oben genannten Beispiel also als Spätaussiedler anerkannt werden? Das wäre unter den folgenden Voraussetzungen zu bejahen:

Iwan müsste deutscher Volkszugehöriger i.S.d. § 6 Abs.2 BVFG sein.

Das ist allerdings nach der zum Zeitpunkt der Einreise geltenden Rechtslage zu beurteilen, im Falle des Iwan also nach der im Jahre 1995 geltenden Fassung des § 6 Abs.2 BVFG. Das war das BVFG in der Fassung vom 1.1.1993.

Danach muss eine Person, die nach 1923 geboren wurde und als Spätaussiedler anerkannt werden möchte, zum Zeitpunkt der Einreise die folgenden Voraussetzungen erfüllt haben:

1. Deutsche Abstammung.

Der Betroffene muss von zumindest einem deutschen (im Sinne deutscher Volkszugehörigkeit nach dem BVFG) Eltern- oder Großelternteil abstammen. Ob die Abstammung von deutschen Urgroßeltern ausreicht, ist derzeit - Stand Oktober 2019 - noch nicht geklärt, hierzu wird es alsbald sicherlich eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts geben. Im Falle des Iwan ist diese Frage unproblematisch zu bejahen, da dessen Mutter als Spätaussiedlerin im Sinne des § 4 BVFG anerkannt wurde.

2. Bekenntnis zur deutschen Volkszugehörigkeit vor der Aufnahme in Deutschland.

Bei Betroffenen aus der ehemaligen UdSSR ist dafür in der Regel erforderlich, dass sie im sowjetischen Inlandspass mit deutscher Nationalität eingetragen waren. Waren sie im ersten sowjetischen Inlandspass nicht als Deutsche eingetragen und wurde die Nationalität im Inlandspass erst später geändert, kommt eine Anerkennung als Spätaussiedler nur noch in Ausnahmefällen in Betracht.

3. Familiär vermittelte deutsche Sprachkenntnisse

Nach der vor September 2013 geltenden und auf alle davor eingereisten Personen anzuwendenden Fassung des § 6 BVFG gehörte zur deutschen Volkszugehörigkeit auch der Nachweis von familiär vermittelten deutschen Sprachkenntnissen. Dieses Merkmal wurde erst mit dem 10. BVFG-Änderungsgesetz (in Kraft seit dem 14.9.2013) geändert. Für Iwan im oben genannten Beispiel gilt jedoch noch das BVFG in der Fassung vom 1.1.1993.

Dieser Punkt bereitet erfahrungsgemäß die größten Schwierigkeiten, weil vor 2013 die Einstufung, ob jemand einen Aufnahmebescheid zur Einreise als Spätaussiedler erhielt oder lediglich als "nichtdeutscher" Abkömmling oder Ehegatte in einen solchen einbezogen wurde, vom BVA häufig danach vorgenommen wurde, ob ausweislich der Antragsangaben und ggf. einem Sprachtest ausreichende deutsche Sprachkenntnisse vorhanden waren. Gab also jemand in seinem Antrag an, die deutsche Sprache nicht oder nur schlecht zu beherrschen, wurde er vom BVA und auch nachfolgend von der Vertriebenenbehörde in der Regel nur noch als Abkömmling im Sinne des § 7 BVFG behandelt. Das gilt auch im Falle eines "nicht bestandenen" Sprachtests.

Das war allerdings insoweit unrichtig, als aktuell zum Zeitpunkt der Einreise vorhandene deutsche Sprachkenntnisse nicht mehr waren als ein Indiz dafür, dass eine Vermittlung deutscher Sprache innerhalb der Familie (in der Regel durch deutsche Eltern oder Großeltern) erfolgt war. Erst seit einer Änderung des BVFG in 2001 waren auch tatsächlich zum Zeitpunkt der Einreise vorhandene deutsche Sprachkenntnisse zwingend erforderlich.   

Kann Iwan also nachweisen, dass seine Eltern, Großeltern oder sonstige Verwandte ihm in der Kindheit deutsche Sprachkenntnisse vermittelt haben, wird er auch gute Aussichten dafür haben, als Spätaussiedler anerkannt zu werden. Dabei wäre ggf. auch zu berücksichtigen, ob seine Geschwister als Spätaussiedler im Sinne des § 4 BVFG anerkannt wurden.  

Zum Schluss ist darauf hinzuweisen, dass die frühere Einstufung nach § 7 BVFG in der Regel nicht zufällig erfolgte. Zumeist lag ihr eine Vorprüfung der Merkmale deutscher Volkszugehörigkeit durch das BVA zugrunde und die Einbeziehung als "nichtdeutscher" Abkömmling oder Ehegatte in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers beruhte zumeist darauf, dass der Betroffene im ersten sowjetischen Inlandspass nicht als Deutscher eingetragen war oder nach seinen Antragsangaben oder dem Ergebnis eines Sprachtests kein Deutsch beherrschte. Diese Tatsachen können auch heute noch eine Anerkennung als Spätaussiedler zumindest als schwierig erscheinen lassen.